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Material und Detail
Bei der Realisierung unserer Entwürfe, d.h. nachdem die städtebaulichen, organisatorischen und räumlichen Festlegungen im Wesentlichen entschieden wurden, sind uns zwei Aspekte besonders wichtig: Die überlegte Auswahl der verwendeten Materialien und die sorgfältige Gestaltung auch im Detail.
Wir betrachten dies nicht als formalen Selbstzweck, als den Wunsch, etwas Besonderes zu schaffen oder uns abzuheben. Vielmehr beruht diese Haltung auf dem starken Eindruck, dass für die Menschen die Wirkung der Materialien und die Gestaltung der Details die Wahrnehmung der Gebäude und Räume wesentlich prägen. Materialien und Details können gut konzipierte Raumformen bereichern, indem sie die Atmosphäre in der richtigen „Tonlage“ stimmen. Gleichzeitig bleiben sie, wenn sie gut gewählt und ausgeführt sind, soweit im Hintergrund, dass sie nichts übertönen.
Material
Wenn unsere Kleidung eine „zweite Haut“ ist, dann sind die Oberflächen der Räume, in denen wir uns aufhalten eine „dritte Haut“. Damit wir uns darin wohl-fühlen ist es, nach unserer Erfahrung, wichtig, dass bei der Auswahl von Materialien deren Eigenschaften und Qualitäten beachtet werden.

Beispiel Kalk: Ein Kalkputz mit Kalkanstrich kann in hohem Maße Feuchte aus der Raumluft puffern und verbessert dadurch das Raumklima. In gewissem Umfang können Luftschadstoffe gebunden werden. Ein reiner Kalkanstrich (ohne Titandioxid) erzeugt ein leuchtendes sehr helles, aber nicht kaltes und daher angenehmes Weiß. Ein weiterer Vorteil ist, dass ein Kalkanstrich nicht vergilbt und dadurch bei Ausbesserungen nur kleinere Flächen und nicht gleich komplette Bauteile überarbeitet werden müssen. Aufgrund seiner natürlichen Alkalität widersteht Kalk als Putz und Anstrich lange Schimmel und Algen. Dazu benötigt er keine giftigen Zusätze wie z.B. Algizide oder Fungizide, die in vielen anderen Anstrichprodukten enthalten sind.

Bleispiel Holz: Unbehandeltes Holz fühlt sich unglaublich angenehm und lebendig (fast möchte man sagen „sinnlich“) an. Die von ihm erzeugte Atmosphäre ist den meisten Menschen sehr zugänglich. Es gibt wenige Bereiche, wo ein Schutzlack unabdingbar ist. Wenn überhaupt ein Schutz notwendig ist, reicht meist eine Behandlung mit Öl oder Wachs. Das unbehandelte Holz hat in der Regel eine viel angenehmere und schönere Farbigkeit, besonders ist dies bei Eiche zu beobachten. In beanspruchten Bereichen kann unbehandeltes Holz mit Wasser und Schmierseife gereinigt werden und entwickelt dadurch auch eine lebendige Patina und erhält eine gute Farbigkeit, z.B. grau..
Es gehört für uns dazu, dass Oberflächen lebendig wirken. Auf vielen heute häufig verwendeten glatten und perfekten Oberflächen „rutscht das Auge aus“. Wenn wir in der Natur sind, dann gibt es vielfältige Eindrücke, der Blick kann sich an vielen Strukturen, Schattierungen und Nuancen „festhalten“. Eine perfekt glatte und gleichmäßige Oberfläche in der Natur ist selten und daher etwas Besonderes.
Diese Wahrnehmungsdichte aus der Natur versuchen wir auch in unsere Räumen einfliesen zu lassen:
- Eine geschlämmte Putzoberfläche lässt den Strich der Bürste und des Handwerkers erkennen. Auch Spuren der betonierten oder gemauerten Wände darunter lassen spüren, aus was das Haus gebaut ist. Im Übrigen ist eine Schlämme in der Herstellung eine der preisgünstigen Putzoberflächen! (Foto Schlämme)
- Ähnlich verhält es sich mit dem Maserungsbild von Holz, mit gebürsteten Metalloberflächen, mit der Splitterstruktur einer Verzinkung oder der natürlichen Patinierung und Alterung von Materialien. Daher lassen wir Materialien gerne unbehandelt stehen. (Unbehandeltes Holz, Stahl natur oder verzinkt, gebürstetes Aluminium,…).
Eine lebendige Oberfläche darf nicht „oberflächlich“ aufgesetzt wirken. Wir haben den Eindruck, dass eine gute Oberfläche, die eine „innere Kraft“ ausstrahlt, aus einer dem Material angemessenen Technik und Herstellungsart entsteht (z.B. das Verbürsten einer Schlämme, dem kristallinen Bild einer Verzinkung…). Genauso wirkt die innere Struktur eines natürlichen Wachstumsprozesses (Holzmaserung, Steinäderung…) von sich aus überzeugend.
Auch viele alte Bauteile erzählen mit Ihren Schrammen und Bearbeitungsspuren, was mit Ihnen gemacht wurde. Daher ist ein wesentliches Kriterium bei unserer Wahl, dass ein Material gut altern und Gebrauchsspuren vertragen kann.
Auch die Wertigkeit eines Materials ist wichtig. Ein einfaches Wohnhaus ist aus einfachen Materialien gebaut. Edle Materialien sind wichtigen Gebäuden und dort besonders herausgehobenen Bereichen vorbehalten.
Immer wieder beobachten wir, dass die Eigenfarben von natürlichen Stoffen (Holz, Stein, Metalle,…) gut zueinander passen und wesentlich einfacher zu kombinieren sind, als synthetische Farben. Schon Farben aus Naturpigmenten sind hier viel einfacher zu handhaben. Vermutlich weil sie, wie unter dem Mikroskop sichtbar wird, aus unterschiedlichsten Farbpartikeln zusammengesetzt sind und durch diese „Verunreinigungen“ unsichtbare Anknüpfungspunkte für andere Farben bieten.

Beispiel ockerfarbener Putz: Für uns sehr spannend und überzeugend waren Muster, die wir für einen ockerfarbenen Kalkputz eines Hauses gemacht haben. Zunächst arbeiteten wir mit industriellem ockerfarbenem Eisenoxidpigment. Die erzielte Farbe war schön. Aus Interesse ließen wir noch ein weiteres Muster mit einem gleichfarbigen Erdpigment, französischem Ocker, ansetzen. Die Wärme und Weichheit dieser scheinbar gleichen Farbe war überragend und die Entscheidung damit klar. (Ein Foto kann diesen Eindruck nur sehr unvollständig vermitteln.)

ein mit Ziegelplitt gefärber Kalkputz

ein mit hellem französischem Ocker und schwarzem Marmormehl gefärber Kalkputz
Die hier dargestellten Überlegungen skizzieren das Thema der sichtbaren Materialien an der Oberfläche. Es geht natürlich tiefer und umfasst viele weitere Aspekte. Letztendlich beeinflusst es auch die Auswahl von Materialien für die später unsichtbaren Teile der Konstruktion.
Detail
Details müssen an den Stellen überlegt werden, an denen Bauteile und Materialien zusammenstoßen, an denen sie weitere, technische, konstruktive und gestalterische Funktionen übernehmen müssen, wo der Mensch das Gebäude zur Benutzung berührt (z.B. Türgriff, Handlauf…) und wo Licht, Luft, Wärme, Raumakustik oder eine räumliche Führung oder ähnliches benötigt werden.
Wenn man sich das klar macht, dann sind es alles notwendige Elemente und dienen einer Funktion. Details die nur der Dekoration dienen, sehen wir kritisch.
Wichtig für unsere Gestaltung ist hingegen eine spielerische Offenheit. Nicht immer ist die einfachste und direkteste Lösung die beste. Manchmal können Details von ihren inneren Kräften erzählen oder auch eine Bewegung im Raum widerspiegeln und damit die räumliche Situation bereichern.
Details sollen dem Raum auch seine spezielle Note, seine Individualität, seine Besonderheit geben.
Eine wichtige Anregung ist unsere Beschäftigung mit Altbauten. Wir lernen viel, wenn wir die Prinzipien von historischen Konstruktionen, Detailausbildungen und Materialanwendungen analysieren. Allerdings führt eine unreflektierte Übernahme, ohne den Abgleich mit heutigen Anforderungen und Möglichkeiten nicht weiter. Wichtig ist, dass wir das Ergebnis in unsere Zeit übersetzen.
Mit vielen von der Industrie fertig angebotenen Standartlösungen, z.B. Fertigtreppen, tun wir uns schwer. Sie passen in der Regel nicht zum gewünschten Charakter des Gebäudes. Anregend kann es hingegen sein mit industriell hergestellten Halbzeugen zu arbeiten, sie auch in anderen Zusammenhängen anzuwenden und dabei spezielle gestalterische Qualitäten zu nutzen. Armierungseisen beispielsweise, mit ihrer reizvollen Gliederung und haptischen Qualität, können schöne Handläufe werden und sind sehr griffig.

Beispiel Sprossenfenster: Bei historischen Gebäuden waren oft Sprossenfenster vorhanden und gestalterisch ist es sinnvoll diese Gliederung der Fassade wieder zu verwenden. Heutige Fenster müssen bezüglich Wärme- und Schallschutz, Bedienbarkeit und Komfort allerdings wesentlich höheren Ansprüchen genügen als historische Fenster. Daher sind sie ganz anders konstruiert. Bei heutigen Wärmeschutzverglasungen sind Holzsprossen recht dick und wirken klobig und unproportioniert. Mehrfach haben wir stattdessen feine Metallstäbe mit Abstandshaltern vor die Glasscheiben gesetzt. Die gestalterisch notwendige Fassadengliederung ist damit gegeben und durch den Verzicht auf die Durchdringung der Wärmeschutzscheibe wird zudem die energetische Qualität optimiert. (Beim Rathaus Cannstatt bedeutete dies eine Einsparung von ca. 1 Tonne CO2/Jahr!).
Bei wichtigen Gebäuden gehen wir auch soweit, dass wir keine Standartholzprofile für die Fenster verwenden, sondern in Abstimmung mit der ausführenden Firma sie in ihren Abmessungen und Querschnitten optimieren. Damit werden schlankere und elegantere Fenster möglich.

Interessanter Weise sind, nach unserem Eindruck, diese Fenster in Ihrer Proportionierung meist näher an historischen Sprossenfenster!


Beispiel Portal: Das neue Ostportal beim Cannstatter Rathaus stellt die Verbindung zum städtischen Verwaltungsgebäude her, dass auf der anderen Platzseite liegt. Daher war es uns wichtig, dass es nicht geschlossen ist, sondern verglast wird. Mit einer großflächigen Verglasung wäre in der Fassade ein unerwünschtes Loch entstanden und von innen wäre man geblendet gewesen.
Wir ließen uns vom historischen Westportal mit vergitterten Fensteröffnungen anregen und fügten in das neue Ostportal schmale senkrechte Glasschlitze ein. Deren Licht blendet nicht, sie fügen sich in die Körnung der Fassade ein und unterstreichen, zusammen mit den Glasleisten und der Bekleidung aus Kupfer, die große Bedeutung dieses wichtigen Bürgereingangs.

Beispiel Treppenhaus: In einem Mehrfamilienhaus haben wir im Treppenhaus den Handlauf und die Beleuchtung zusammengeführt. Der Handlauf ist als verzinkter Flachstahl ausgeführt und seine Befestigung an der Wand trägt gleichzeitig eine Industrieglasscheibe. Dahinter ist eine einfache und günstige Leuchtstoffröhre montiert.
Der Treppenraum wirkt dadurch ruhig, das gestalterische Problem wie man zwischen 2 schrägen Betontreppenläufen eine Lampe anbringt ist gelöst und das durch die Glasstruktur blendfreie Licht ist da, wo man es braucht, auf den Treppenstufen.
Eine wichtige Richtschnur bei der Planung und Detaillierung ist für uns, dass ein Gebäude, wenn man näher kommt, nicht nur größer wird. Von weitem erkenne ich die Gebäudeform und seine Einbindung in den Stadtraum und die Umgebung. Wenn ich näher komme erkenne ich die Gliederung der Fassade in immer mehr Einzelheiten. Es gibt Elemente, die mich zum Eingang führen. Der Eingangsbereich empfängt mich, vielleicht lässt mich die Tür nach innen blicken. Dann greife ich die Türklinke und öffne die Tür…


Beispiel:Treppe in einer Maisonettwohnung: das Licht kann durch die Geländerstäbe durchfallen, der Handlauf ist auf das notwendige Minimum beschränkt.

Beispiel Treppenharfe: um einen Aufgang lichter und heller zu machen übernimmt eine für Möbeltransporte demontable Harfe die Absturzsicherung.


Beispiel Dachlamellenfenster: das schuppenartige Lamellenfenster ist flächenbündig in das mit Gratschnittbibern gedeckte historische Dach eingebaut um den historischen Gauben keine Konkurrenz zu machen.

Beispiel Rundbogenfenster: das historische Rundbogenelement wird in ein heutiges Fenster integriert, es wird zum Kastenfenster umgebaut.
© Christoph Manderscheid 2015 |
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